Zoltán Bene: Ein unmenschliches Finanzreich in Zoltán Böszörményis Roman

Nach seinem großen  Roman In Stücke zerrissen konnte der Leser Zoltán Böszörményis Roman In den Furchen des Lichts (Originaltitel: Regál)  in einer Neuausgabe in die Hand nehmen. Nun aber hat sich der Attila József Preisträger sowie lorbeerkranzgekrönte Autor mit einer überarbeiteten Fassung seines Wanda ist ewig (Vanda örök) unter dem Titel Solange ich denken kann, dass ich existiere (Míg gondolom, hogy létezem) zurückgemeldet. Neben Wanda, der Hauptakteurin des 2005 erschienenen Romans Wanda ist ewig, trat Rudolf in Erscheinung. In der neuen Fassung aber (die den Untertitel  der Vorgängerfassung als Titel trägt) tritt der Erzähler unter dem Namen Tamás auf. Das erinnert an den Roman In den Furchen des Lichts, an die dortige Hauptfigur, wodurch die Verbindung zwischen den zwei Romanen bekräftigt wird.

Als dritter gesellt sich hierzu In Stücke zerrissen. Denn der Ausgangspunkt, wenn man so will Konflikt, das dominierende Handlungsmoment ist der ungarische Exodus, der mit einer Auswanderungswelle Ende des XIX. Jahrhunderts begann und 1920 mit dem Vertrag von Trianon und nach 1945 durch das unter sowjetische Herrschaft geratene Ungarn und den gleichfalls (auch) von Ungarn besiedelten  umliegenden Ländern immer wieder von Neuem eine Fortsetzung erfuhr.

 

Die Schicksalsfragen des Ungartums

Der Roman In Stücke zerrissen, der nach meiner Einschätzung unbedingt  als Menschheitsroman bezeichnet werden kann, weil er über die Schicksalsfragen des Ungartums, doch, wie der Titel ahnen lässt, behandelt er auch die Grundfragen der gesamten Menschheit, entwirft ein umfassendes Bild vom Trianon-Trauma und dessen Folgen. In den Furchen des Lichts werden die Eigenheiten  der mit der Westmigration einhergehenden Flüchtlingsphasen des XX. Jahrhunderts thematisiert. Solange ich denke, dass ich existiere stellt die Schicksale der Ausgewanderten in ihrer neuen Heimat dar. Im konkreten Fall ist von Tamás die Rede, der versucht, in Übersee im Geschäftsleben Fuß zu fassen.

 

Zoltán Böszörményis überarbeitete Romanfassung

Der Autor zeichnet eine unbarmherzige, harte und schonungslose Welt. Seine eigenen Erfahrungen liefern den Schlüssel zur präzisen und herzzerreißenden Beschreibung des amerikanischen beziehungsweise kanadischen business life. Der Egoismus, die Gnadenlosigkeit und die Manipulation haben Ausmaße, wie wir sie uns im Zwischeneuropa kaum vorstellen können, obwohl auch das hiesige Geschäftsleben kein Zuckerschlecken ist. Einzig die philosophischen Einschübe können einen Ausweg aus dem vom Geschäftsleben dominierten  (Welt)Stadtdschungel bieten, dessen literarische Darstellung gleichfalls außerordentlich spannend ist.

 

„Triumphierender” Kapitalismus

Die präzise Darstellung eines alles hinwegfegenden „triumphierenden” Kapitalismus ist in der ungarischen Literatur ein Kuriosum, denn eine derartige Wirklichkeit kennen wir höchstens aus Filmen und wissenschaftlichen Abhandlungen, nicht aber aus eigener Erfahrung. Böszörményis Roman führt uns in die unbekannte Nähe einer Metropole. Er beschreibt das Menschliche, das allzu Menschliche derart einfühlsam, dass es fast schon schmerzt. Er macht nachvollziehbar, welchen Einfluss der Rausch des Geldes auf den Charakter des Menschen ausübt, dass es einen schier erschaudern lässt. Vielleicht auch deshalb macht einen diese Ebene des Romans so perplex, weil der Leser verblüfft feststellen muss,  dass die Wechselwirkungen des menschlichen Schicksals und der gesellschaftlichen Kraftfelder nicht so sehr aus den Demokratie- und Freiheitsdefiziten Osteuropas, auch nicht des Balkans resultieren, sondern unausweichlich mit dem menschlichen Leben einhergehen. So sehr wir auch in einer kultivierten Epoche der Individualisierung leben, die gesellschaftlichen Richtungen und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten sind in der Gestaltung des Einzelschicksals stets unausweichlich.

 

Menschheitsroman

Solange ich denken kann, dass ich existiere ist eine klassische realistische Prosa. In postmodernem Gewand. Während die Umgebung glasklar aufscheint, die Psychogramme meisterhaft aufgearbeitet sind, wird der Romanrahmen vom Autor ständig erweitert. In Richtung psychologischem Essay ebenso wie in Richtung Psychokrimi. Dennoch nicht auf Kosten der Lesbarkeit. Die Aufmerksamkeit des Lesers bleibt durchwegs gebunden. Selbstbezweckte Textpassagen werden vermieden. Auch vor humotistischen Einschüben oder filmreifen Elementen schreckt der Autor nicht zurück.

Ebenso wie ich In Stücke zerrissen als Menschheitsroman bezeichne, trifft das Prädikat Schicksalsroman auf Solange ich denken kann,dass ich existiere zu. Letztendlich stehen der Mensch und sein Schicksal im Mittelpunkt des Geschehens: die Kämpfe, die Frustrationen, die Suche nach Glück, die Höllenfahrt und die Möglichkeiten der Glückseligkeit, die Dichotomie  von Schicksal und Verhängnis, die Möglichkeiten der Persönlichkeit und des Personalen in einer allzu sehr dominierenden und zusehends unmenschlicher werdenden Umgebung. In Solange ich denken kann, dass ich existiere sind es Handlung und Tat, die uns dazu anspornen, trotz Unmenschlichkeit Menschen zu bleiben, wie es einst Endre Ady formuliert hat:  „mach dich draufgängerisch auf den Weg, / Wie du dereinst gehandelt hast.”

 

 


Zoltán Böszörményi: Solange ich denken kann, existiere ich. Irodalmi Jelen Bücher, Arad 2022, 184 Seiten, Preis: 2990,- Forint